Interview

Herr Alexandrov, Sie sind Dialektforscher. Wie kommt man auf einen solchen Beruf?

Nun zunächst einmal kann ich sagen, dass Dialektforscher kein "echter" Beruf ist. Mein Beruf ist Professor für Deutsch und Englisch und ich arbeite am Lehrstuhl für die Deutsche Sprache an der TPU in Tomsk seit 15 Jahren. Allerdings kann man das Forschen nach Dialekten eher als Weiterbildung verstehen. Es ist ein noch relativ unerforschter Zweig der Sprachwissenschaften. Wie ich dazu gekommen bin? Eine sehr begabte Professorin namens Soya Bogoslovskaya führte mich zum Thema Dialekte, und speziell zum Thema der Dialekte der Russlanddeutschen hier in Sibirien.

Wann haben Sie angefangen, sich damit zu beschäftigen? 

Mit Dialekten beschäftige ich mich seit 2002 und 2007 habe ich meine Doktorarbeit zu dem Thema " Was denken Dialektsprecher über die Sprache" verfasst. Die Antworten waren sehr interessant, denn die Dialektsprecher denken meist sehr schlecht über ihre eigene Sprache. Sie denken, dass der Dialekt nicht "richtig" sei und dass sie falsch sprechen würden. 

Welche Dialekte untersuchen Sie?

Ich untersuche Dialekte, die in Deutschland gesprochen wurden bzw. werden. Entweder die Dialekte in der ehemaligen Wolga-Republik, also in den damaligen Mutterkolonien der Deutschen, die nach Russland gekommen sind, oder auch andere Gebiete, wie z.B Novosibirks, Barnaul, Omsk oder eben Tomsk. Wobei der Unterschied von Tomsk zu den anderen Gebieten ist, dass die Menschen nicht freiwillig nach Tomsk gekommen sind, und so die Kultur auch nicht aufrechterhalten wurde. In den anderen Gebieten gab es Tochterkolonien von der Zeit, in welcher Katharina die 2. die Deutschen nach Russland eingeladen hat. Die meisten Deutschen haben sich in der Wolgarepublik niedergelassen, aber es gab eben auch die Tochterkolonien, die sich dann in Sibirien befanden. Was besonders auffällt, ist, dass in den Gebieten Altai/Omsk die Dialekte teilweise noch gesprochen werden, während die Deutschen, die nach Sibirien deportiert wurden, das Deutsche zum größten Teil "verlernt" haben. 

Um speziell auf die Dialekte einzugehen: Die am häufigsten von Russlanddeutschen gesprochenen Dialekte sind Hessisch oder Pfälzisch. Es gibt aber auch Leute, die Niederdeutsch sprechen, das ist allerdings sehr selten anzutreffen. 

Wie sieht ein normaler Arbeitstag aus? Wie arbeitet ein Dialektforscher? 

Einen klassischen Arbeitstag gibt es nicht wirklich. Normalerweise gehe ich meinem "normalen" Beruf nach, ich unterrichte und leite meinen Lehrstuhl. Als Dialektforscher leite ich normalerweise Projekte, welche von russischen Stiftungen unterstützt werden. Diese Projekte benötigen meistens Feldforschung. Zum Beispiel habe ich im Sommer 2017 Feldforschung in Novosibirsk betrieben. Bei dieser Art von wissenschaftlicher Arbeit finde ich zunächst heraus, wo viele Russlanddeutsche leben, nehme Kontakt zu Kultureinrichtungen auf und fahre mit Kollegen zu diesen Orten, um möglichst viel über gesprochene Dialekte herauszufinden. Meistens gibt es auch kleinere Treffpunkte der Russlanddeutschen auf dem Dorf, zu welchen ich dann eingeladen werde und Interviews mit den Leuten führe, welche die Deutsche Sprache bzw. Dialekte sprechen können. Ich mache Video- und Audioaufnahmen, besuche Gottesdienste und wenn ich zurückkomme, werte ich diese aus und verfasse wissenschaftliche Artikel für verschiedene Fachzeitschriften. 

Es gibt allerdings auch Schwierigkeiten. Denn heutzutage sprechen größtenteils ältere Menschen Dialekt und besonders gesundheitliche Probleme machen es schwer, Interviews zu führen. Außerdem besteht das Problem, dass es schwierig ist, überhaupt Kontakt aufzunehmen, da diese Menschen meistens in ihrer Gemeinde unter sich bleiben. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass jeder Mensch Dialekte verschieden ausspricht. Dies kann man gut daran sehen, dass es in einem Dialektwörterbuch rund 5-6 Übersetzungen für ein einzelnes Wort gibt, und diese werden natürlich wieder in verschiedenen Formen ausgesprochen. Ich habe gelernt, Dialekte zu verstehen, jedoch nicht zu sprechen. Daher antworte ich meinen Interviewpartnern auf Hochdeutsch, welches jedoch nicht alle Dialektsprecher sprechen. 

Was denken Sie, wie soll es mit den Dialekten der Russlanddeutschen weitergehen? 

Die Dialekte der Russlanddeutschen sterben aus- leider. 

Jedoch wird es noch etwas dauern, bis die Dialekte komplett ausgestorben sind. Dies kann man an einigen Sprachen sehen, von denen seit geraumer Zeit behauptet wird, dass sie aussterben. Sie werden immer noch gesprochen, vor allem, weil sie nun mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind. Es gibt Ideen von Spezialisten, Dialekte zu unterrichten. Ich denke, dass dies unmöglich ist. Man muss Dialekte auf freiweilliger Basis lernen und kein Lehrbuch könnte einem das Gefühl und die verschiedenen Aussprachen der Dialekte nahebringen. Hier wird es sehr schwierig, da die jüngere Generation meistens nur auf Russisch spricht. 

Man sollte anfangen Informationen zu sammeln, sie zu archivieren und damit Zugang für die Leute schaffen. Denn die Dialekte sind ein Fenster zur Vergangenheit der deutschen Sprache. Sie entwickelten sich ohne Kontakt zur Standartsprache, für die Forscher ist es wie ein kleines Sprachlabor, es gibt keine Sprachnormen oder Ähnliches. 

Es gibt noch keine Website für die Dialekte der Russlanddeutschen in Russland und daher wäre es eine gute Idee, auf dieser Website eine Rubrik einzurichten, um mehr Informationen über diese Dialekte anzubieten. Man könnte Lieder, Gottesdienste, Interviews, Geschichten und Schicksale verschiedener Familie online stellen, um es für die breite Masse zugänglich zu machen. 

 Vielen Dank für das Interview!