"In jenen Jahren"

Die Künstlergeneration, der der Tagiler Maler Michail Wassiljewitsch Diestergeft angehört, hatte weder im Leben noch in der Kunst einen leichten Weg. Die historischen Prozesse, welche das Schicksal Russlands in den 20er-50er Jahren bestimmten, bestimmten auch das Schicksal der Menschen, sie drückten ihrer Schaffensbiographie einen besonderen Stempel auf. 

Das gilt auch für das Schicksal von M.W. Diestergeft. Der Beginn seiner schöpferischen Laufbahn war vielversprechend: in der Kindheit lernte er in Leningrad im Haus für Kunsterziehung der Kinder, in der Jugend lernte er im Kunststudio des Professors der Leningrader Akademie die Künste A.D. Saizew sowie im Studio des Maxim-Gorki-Kulturpalastes bei den Dozenten der Akademie der Künste W.A. Grob und A.A. Jefimow, wo er sich auf das Studium an der Kunstakademie vorbereitete. Als der Größe Vaterländische Krieg mit dem faschistischen Deutschland begann, leistete er gerade seinen Wehrdienst. Die Fortsetzung des Studiums rückte damit in weite Ferne. Zu Beginn des Krieges nahm er an der Verteidigung Moskaus teil, dann versetzte man ihn in ein Baubataillon, doch bald darauf wurde er wegen seiner Nationalität „bis zum Kriegsende“ – so hieß es im Einberufungsschreiben – für die Kohlenindustrie des Ural „mobilisiert“. In der Praxis aber geriet er damit in die Lagerzone der Bogoslowsker Kohlengruben in Karpinsk. Dennoch kann sein Schaffensweg als glücklich bezeichnet werden: trotz der höllischen Schwierigkeiten überlebte er, er wurde Maler und befasste sich sein Leben lang mit seiner Lieblingstätigkeit: er malte, und das sogar im Lager. Bereits 1945 fand die erste Ausstellung seiner Aquarelle statt. Dem folgten viele andere Ausstellungen: Gruppen- und Einzelausstellungen. So in Nishnij Tagil, wo er wohnt, aber auch in Swerdlowsk, es gab zonale Ausstellungen in verschiedenen Städten des Urals, ebenso Republiks- und Unionsausstellungen in Moskau, aber auch Auslandsausstellungen.

In den 55 Jahren seines Schaffens entstanden ein viele verschiedene Werke, gemalt mit Aquarell- oder Pastellfarben, mit Ölfarben oder mit Bleistift, aber auch Steinschnitte und Radierungen.

Es gibt im Schaffen eines jeden Künstlers Werke, in denen dich die Gedanken und das Erlebte, die Lebens- und Berufserfahrung sowie die philosophischen Gedanken konzentrieren. Solche waren für Michail Diestergeft die Graphikserie „In jenen Jahren“. Sie umfasste Bleistift- und Kohlenzeichnungen. An ihr arbeitete er im vergangenen schöpferischen Jahrzehnt. Sein ganzes Leben schien ihn darauf vorbereitet zu haben. Die Künstler hat das Album mit den 1941-1946 auf dünnen Papierstückchen gemachten Skizzen sorgsam aufbewahrt.

Von einem Werk zum anderen gehend, scheint man das nicht nur die Seiten eines einzelnen schweren Menschenlebens umzublättern, sonder die einer ganzen Generation. Da der hingestürzte Körper eines Erschossenen („Ohne Recht auf Briefwechsel“), dort die dreigeschossigen Pritschen, auf denen die ausgemergelten Menschen sitzen und liegen („Auszehrung“). An uns ziehen die erschöpften „Arbeitsarmisten“ vorbei. Wir sehen ihre Gesichter und schauen in die Augen der repressierten Männer und Frauen. Sogar hinter Stacheldraht lebten sie mit dem Glauben an den Sieg über den Faschismus („Flucht an die Front“) und trugen mit ihrer Akkordarbeit dazu bei, diesen Sieg näherzubringen („Sieg hinter Stacheldraht“). Wir fühlen mit den Helden der Graphiken „In der Baracke“, „Ein Schritt nach links – ein Schritt nach rechts“, „In der Arbeitsarmee“, „Zur ewigen Ansiedlung“ und „Kohlenträger“ mit, uns begeistert die Kraft und der Mut diesen Menschen, die unter schwersten Bedingungen das Interesse an neuen Kenntnissen nicht einbüßten („Lehrstuhl des Prof. O. Bader“) und die ihr Menschenantlitz bewahrten („Verhaftet wegen des Verdachts, ein Pole zu sein“).

Die Bilder dieser Serie und einerseits zutiefst persönlich geprägt, andererseits aber besitzen sie eine ungeheure allgemeinmenschliche Bedeutung. Zusammen mit seinem Volk ist Diestergeft einen schweren Weg gegangen, doch er hat ungebeugt überlebt. Durch das Private und Persönliche erhebt sich der Künstler zu tiefgreifenden Verallgemeinerungen, die eine ganze Epoche charakterisieren. Das äußerte sich in den Bildern „Notturno“, „Troika – Besondere Beratung“, „Den Opfern der Massenrepressionen. Requiem“. Der Künstler, welcher hinter Stacheldraht überlebte, Erniedrigungen und Kränkungen erdulden musste, welcher den Tod, das Leid und die Leiden der ihm Nachstehender aber scheinbar auch ganz Fremder erlebte, erzählt vertrauensvoll, offen und schmerzerfüllt von der nicht einfachen Geschichte seines Landes, vom Schicksal der Menschen, er versucht, das „historische Gedächtnis des Volkes“ zu bewahren.

Die Graphikserie „In jenen Jahren“ hat heute Anerkennung gefunden. In Verlagen von Jekaterinburg und Moskau sind Bücher erschienen. In Russland und auch in Deutschland wurden mehrere Zeitschriften verlegt, welche mit Graphiken aus dieser Reihe ausgestattet sind. 1997 erhielt M. Diestergeft beim Wettbewerb um das beste literarische und künstlerische Werk für seine Serie In jenen Jahren“ in der Nomination „Bildende Kunst“ den Gouverneurspreis des Gebiets Swerdlowsk.

Im Jahr 2000 wurde der Name des Künstlers in das in Deutschland erschienene „Künstlerlexikon der Welt“ aufgenommen.

Öffnungszeiten:

Montag-Dienstag - 9:00-19:00 Uhr

Freitag - 9:00-16:30 Uhr

Samstag-Sonntag - Feiertage